Freie Universität Berlin Rostlaube
1997
Flexibilität – Evolution – Identität
Bei einer kritischen Retrospektive strukturalistischer Projekte lassen sich erstaunliche Aspekte in der Radikalität der Zielvorstellungen, des Entwurfsprozesses, als auch in der Realisierung der Entwürfe ablesen. Der Grund, sich wieder verstärkt mit strukturellen Systemen zu beschäftigen, liegt nicht allein wie in den 1960er und -70er Jahren darin, eine soziale Vision mit den Mitteln fortschrittlichster Technik einzulösen, sondern auch in den Lösungsmöglichkeiten, die uns ein neuverstandener Strukturalismus für die sich heute ständig verändernden Realitäten bietet.
Ein Neuverständnis des Strukturalismus zielt auf die Evolution dieser Gebäudetypologie unter Berücksichtigung heute alltäglicher Phänomene, wie ständige Bewegung, Vernetzung oder Variabilität ab.
Architektonische Entwicklungsmöglichkeiten des Strukturalismus im Hinblick auf Aspekte wie Ikone und Stadtmasse, als auch die radikale Definition einer Beziehung von Architektur und Städtebau über den Maßstab, stellen den Ansatz dieser Neubewertung dar.
Gerade bei den wenigen hervorragenden Beispielen, zu denen sicherlich die 1962 entworfene und von 1967 bis72 fertiggestellte Gebäudestruktur der Freien Universität Berlin von der Architektengruppe um Georges Candilis – Alexis Josic – Shandrach Woods, Team Ten, zählt, ergibt sich die besondere Möglichkeit Stärken und Schwächen dieser strukturalistischen Gedankenwelt differenziert zu analysieren.
Im Fall der Rostlaube mit einer leider vergänglichen Corten-Fassade und der späteren Silberlaube mit einer Aluminium-Fassade ist das Versprechen nach Flexibilität und Freiheit durch eine äußerst zurückhaltende und präzise ausgearbeitete Stahlverbundkonstruktion in reinster Form, entwickelt von Jean Prouvé; eingelöst worden, wodurch eine große Bandbreite an Variationsmöglichkeiten der Konzeption, der Raumbildung und gestalterischen Ausformulierung der Struktur möglich war. Somit ist das fertiggestellte Gebäude von 1972, als auch dieses von uns angedachte Projekt von 1997 zur Sanierung, Ergänzung und Neuordnung als mögliche Erscheinungsform dieser strukturellen Grundlage zu beurteilen.
Beachtenswert ist im Vergleich der beiden Entwürfe, mit welch minimalen Mitteln strukturfremde Funktionen addiert, der Gesamtkomplex umorganisiert, eine andere architektonische und städtebauliche Haltung von Ikone und Stadtstruktur und der daraus resultierenden Entwicklung einer anderen Maßstäblichkeit in die Konstruktion eingefügt werden können.
Die Zurückhaltung im Geiste dieser Strukturalisten in Verbindung mit einer solch radikalen Idee eines von Zwängen befreiten, wachsenden und sich ständig verändernden Organismus besitzt nicht nur absoluten Vorbildcharakter, es stellt darüber hinaus, bei klarem Bewusstsein über problematische Aspekte und Dogmen der 1960er Jahre, auch hervorragende Lösungsmöglichkeiten für die Aufgaben von Gebäuden unserer Zeit dar.
Kalmbacher & Ludwig Architekten BDA
Eingeladenes Gutachten zur Neuordnung der Nutzungsstruktur, Ergänzug der Bibliothek und Revitalisierung der Fassade mit 8 Teilnehmern 1997
Die Senatsbaudirektion Berlin beauftragte Norman Foster + Partners mit der Ergänzung der Bibliothek und der Revitalisierung der Hülle der Rostlaube.
Auslober: Senatsbaudirektion Berlin
Modell: MAD


